Radio ZuSa

Sonntag, 10. April 2011

Playlist # 56 vom 10.04.11 (1) - CLIFF MARTINEZ Special

Cliff Martinez zählt zu den nicht wenigen Komponisten in Hollywood, deren musikalischer Hintergrund nicht unbedingt prädestiniert für eine Karriere in der Traumfabrik gewesen ist. Aber wie manche schicksalhafte Begegnungen es oft nach sich ziehen, gehört der am 5. Februar 1954 in der New Yorker Bronx geborene und in Ohio aufgewachsene Musiker mittlerweile zu den interessanteren Stimmen im Filmmusikzirkus.

© by Robert Mann
Momentan ist Martinez mit seinem elektronisch-groovenden Score zur Verfilmung des Michael-Connelly-Bestsellers „Der Mandant“ nicht nur im Kino zu erleben, sondern auch auf dem bei Lakeshore Records veröffentlichten Soundtrack ("The Lincoln Lawyer") zu hören.
Seine musikalische Karriere nahm 1976 ihren Anfang, als Martinez nach Kalifornien zog und den Höhepunkt der Punk-Bewegung aktiv miterlebte, indem er für die Weirdos, Lydia Lunch und Jim Thirlwell (Foetus) ebenso die Trommelstöcke schwang wie bei Dixies und den Red Hot Chili Peppers. Während er auf deren ersten beiden Alben mitwirkte, verbrachte er viel Zeit im Studio, um ausgiebig mit einer Sampling Drum Machine zu üben – einem Gerät, das nach Martinez‘ Verständnis das Potenzial einer ganzen Band in einer Box vereint.
Teilweise ist es seiner Nachforschung in den Vorteilen der Musiktechnologie zu verdanken, dass er das Leben eines Rock-Drummers für eine Karriere in der Filmmusik aufgab. Mit einer Tape-Collage von aggressiv-merkwürdigen Geräuschen, die einige seiner Freunde kreierten und die Martinez mit einem MIDI Percussion Controller bearbeitete, erhielt der Musiker die Möglichkeit, eine Episode von Paul Reubens TV-Serie „Pee-Wee’s Playhouse“ zu vertonen, was wiederum die Aufmerksamkeit von Steven Soderbergh fesselte. Er engagierte Martinez für den Soundtrack zu seinem 89er Debütfilm „Sex, Lügen und Video“, der eine neue Ära des Independent-Kinos einleitete.
„Steven mag generell keine Melodien zum Mitsingen. Er mag Wiederholung, klangliche Signaturen, die mit seinen Figuren verknüpft sind. Es kann eine Herausforderung sein, das hinzubekommen“, beschreibt Martinez die Zusammenarbeit mit Steven Soderbergh in Variety. Für das Episoden-Drama „Traffic“ schuf er gerade für die Szenen in Mexico auffallende Musik.
„Mexico verfügt über eine stärkere klangliche Identität als andere Orte in dem Film. Es ist vage exotisch, vage ethnisch. Und es gibt ein stärkeres rhythmisches Gespür. Steven gab den mexikanischen Szenen einen sehr auffallenden Look, was für mich der am meisten stilisierte Teil des Films war. Meine Musik verlieh den Szenen mehr Atmosphäre als Dramatik oder Emotion. Steven ermutigt sein Publikum nicht, indem er es füttert, sondern er lässt es seine eigenen Lösungen entwickeln. Zum Beispiel möchte er keine romantische Musik für romantische Szenen. Er möchte nicht, dass die Musik die emotionalen Aspekte eines Films auf traditionelle Weise erklärt.“
Und so entwickelte sich auch die Arbeit an dem Score zu „Traffic“ etwas unkonventioneller. Soderbergh wollte einen atmosphärischen Score und stattete den Film mit einem Temp Score von Brian Eno aus. Martinez war mit dieser Konstellation anfangs nicht sehr glücklich, aber sobald David Torn mit seiner Gitarre ein paar nützliche Texturen lieferte, war der Komponist begeistert. „Er produzierte einige erstaunliche Hintergründe, die irgendwo in der grauen Zone zwischen Musik und Sound Design lagen“, berichtete Martinez im Interview mit Film Score Monthly. „Jeff Rona trug auch etwas dazu bei, und ich denke, das Ergebnis war sehr erfolgreich. Die Musik klingt einfach, gab Steven aber das, was er als auffallende Abwesenheit der üblichen Komponenten von Musik beschreibt – Rhythmus, Harmonie und Melodie.“
Martinez hat etliche von Soderberghs Filmen musikalisch versorgt und dabei oft unkonventionelle Klänge kreiert, so das hämmernde Dulcimer bei „Kafka“, das verstörende Piano bei „The Limey“, die Symbiose aus Steel Drums und Ambient-Strukturen im Weltraum-Abenteuer „Solaris“, dessen Soundtrack gerade von La-La Land erneut veröffentlicht worden ist.
„Ich habe keine Ahnung, warum sich die Leute den Soundtrack noch immer anhören. Wahrscheinlich ist ‚Solaris‘ für mich das, was ‚Proud Mary‘ für John Fogerty ist. Es hört nicht auf, an unerwarteten Stellen wie Volkswagen- und Schuh-Werbespots aufzutauchen. Es war auf jeden Fall ein künstlerisches Wasserzeichen. Ich habe ein paar kleinere Orchester-Scores zuvor gemacht, aber ‚Solaris‘ war mein erster gigantischer Orchester-Score für ein Major Studio, 20th Century Fox. Ich weiß, dass er einer meiner besten Bemühungen ist, und ich frage mich noch immer, warum. Ich will damit nicht sagen, dass der Film problematisch war … jeder Film besitzt seine Herausforderungen, und ich denke, die Kunst des Musikschreibens, gerade für den Film, ist eine Art des Problemlösens“, erläutert Martinez im Interview mit Daniel Schweiger auf filmmusicmag.com. „‘Solaris‘ hatte viele Grundlagen abzudecken, Gott, Existenz, das Unendliche, Liebe, Tod, George Clooney etc. Viele Filme lassen nicht viel ungesagt, zu dem der Komponist einen Kommentar abgeben kann, und ich nehme an, dass ‚Solaris‘ einer der seltenen Filme gewesen ist, der der Musik recht viel Spielraum überließ.“
Kürzlich hat Cliff Martinez sogar zu zwei französischen Filmen die Musik beigesteuert, zu „Espion(s)“ und „À l’origine“.
„Beide Filme waren erstklassige Erfahrungen für mich, ohne dass ich nach Frankreich, französisch sprechen oder auch nur die Regisseure (Nicolas Saada und Xavier Giannoli) sprechen musste, als ich die Scores produzierte! Jedoch haben beide meinen Luftraum via Skype (in der Regel um 1 Uhr morgens) jede einzelne Nacht betreten, und es waren die intensivsten kreativen Zusammenarbeiten, die ich je mit Filmemachern hatte“, bekannte Cliff Martinez ebd.
„Beide waren sehr fordernd, artikulierend, einfallsreich und knapp in ihrer Kommunikation über Musik und es war mehr als eindrucksvoll, dass English ihre zweite Sprache gewesen ist. Ich kann natürlich nach meinen Erfahrungen mit diesen beiden Filmen kein generelles Urteil über das französische Kino fällen, aber beide Regisseure hatten einen enormen Respekt, großes Wissen und Verstehen der Hollywood-Tradition, aber sie verfügen auch über eine eigene Tradition, auf die sie sehr stolz sind und die ebenso einzigartig und tief ist wie alles, was wir hier haben.“
Mit seinem neuen Score zum Justiz-Thriller „Der Mandant“ vereint Martinez seine besten Fertigkeiten, verbindet ausgefeilte elektronische Arrangements mit ausgefallenen Percussion-Rhythmen.
„Meine Verwendung von Percussions hat sich lange vor ‚Lincoln Lawyer‘ herausgebildet, aber ich versuche stets, meinen Sound für jeden Film zu entwickeln und anzupassen. Die Verfeinerung zu meinem Ansatz für ‚Lincoln Lawyer‘ fiel vielleicht nicht so subtil aus, dass es mich in Aufregung versetzt hätte, aber ich begann die Metallophones wie die Steel Drums erstmals zu einem Stück aufeinanderzuschichten und zu kombinieren. Bei ‚Narc‘ begann ich eine Idee zu erforschen, bei der ich ‚rhythmi-tizing‘ Ambient-Texturen kreierte. Für ‚Lincoln Lawyer‘ fing ich damit an, Percussion-Performances zu triggern und die rhythmischen und tonalen Eigenschaften dieser Ambient-Texturen zu formen.“
Die Filmmusik zu „Der Mandant“ dokumentiert einmal mehr, dass Cliff Martinez zu den eigenwilligsten Komponisten in Hollywood zählt. Er wird sicher nicht für die großen Blockbuster engagiert, aber mit seinen zumeist sehr zurückhaltend eingesetzten, ruhigen Ambient-Scores leistet er wichtige Beiträge zu den dazugehörigen Filmen und seiner persönlichen Karriere.
„Natürlich will ich auch im Geschäft überleben, also versuche ich stets, mich anzupassen und normal zu sein. Ich denke, diese Einstellung und die musikalische Identität gehen Hand in Hand. Ich verfügte über ein Set an musikalischen Einflüssen, mit denen ich aufgewachsen bin. Ich habe Entscheidungen darüber getroffen, was ich für großartig und was ich für abscheulich hielt. Aber wenn du einmal den Fuß in die Tür bekommen hast, wirst du als Filmkomponist auch darüber definiert, mit welchen Leuten und an welchen Projekten du arbeitest. Bei meinen ersten Filmen war ich glücklich genug, mit Steven Soderbergh zu arbeiten, der ebenfalls eine eigensinnige Einstellung und Identität besitzt. Deshalb habe ich ihm viele meiner Scoring-Instinkte zu verdanken. Aber ich arbeite auch weiterhin an traditionellen Sachen. Ich versuche nur, mir hier einige Freunde zu machen.“

Diskographie:
1989: Sex, Lügen und Video (Sex, Lies, and Videotape)
1990: Hart auf Sendung (Pump up the Volume)
1991: Kafka
1992: Eine verhexte Affäre (Black Magic, TV)
1993: König der Murmelspieler (King of the Hill)
1995: Die Kehrseite der Medaille (Underneath)
1996: Gray's Anatomy
1996: Schizopolis
1998: Bad Girl – Mord ist keine Lösung (Wicked)
1999: The Limey
2000: Traffic – Macht des Kartells
2002: Narc
2002: Solaris
2003: Wonderland
2004: Sehnsüchtig (Wicker Park)
2005: Havoc
2006: First Snow
2008: Vice
2008: Stiletto
2009: Espion(s)
2009: Severe Clear
2009: À l’origine
2011: Der Mandant (The Lincoln Lawyer)
2011: Drive
2011: Contagion

Playlist:
1 Cliff Martinez - Track Him (The Lincoln Lawyer) - 03:05
2 Cliff Martinez - I'm Gonna Drawl (Sex, Lies, and Videotape) - 04:37
3 Cliff Martinez - The Green Head (The Underneath) - 02:55
4 Cliff Martinez - Mister and Mrs. Cliff (King Of The Hill) - 02:55
5 Cliff Martinez - Ajar (Wonderland) - 02:23
6 Cliff Martinez - The Intersection (Havoc) - 03:49
7 Cliff Martinez - Main Title (Wicked) - 02:59
8 Cliff Martinez - Eddie's Dead (Kafka) - 03:26
9 Cliff Martinez - La Cagaste (Traffic) - 02:56
10 Cliff Martinez - Girl In The Closet (Narc) - 03:28
11 Cliff Martinez - Don't Blow It (Solaris) - 03:35
12 Cliff Martinez - Canary Wharf (Espion(s)) - 03:27
13 Cliff Martinez - Lie Down & Die (First Snow) - 04:41
14 Cliff Martinez - Il Est Déjà Loin (A L'Origine) - 04:38
15 Cliff Martinez - How Does Reggie Tell It? (The Lincoln Lawyer) - 04:49

Soundtrack Adventures with CLIFF MARTINEZ by Dirk Hoffmann on Mixcloud

  © Blogger template Brooklyn by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP